Meinung Vier Monate Gewöhnung

Der Umgang mit der AfD im Parlament ist korrekt. Mit ihrer Methode, AfD-Kandidaten durchfallen zu lassen, sollte es die Mehrheit aber nicht übertreiben.

 Werner Kolhoff. Foto: Mathias Krohn, www.krohnfoto.de

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Nur sechs Mal ist der neue Bundestag seit der Wahl zusammengekommen, er hat kaum etwas zu tun. Die meisten Tagesordnungspunkte betreffen noch immer die Selbstorganisation. Ein paarmal ging es um vorläufige Mandatsverlängerungen für Bundeswehreinsätze, eine Formalität. Politische Vorstöße gab es nur wenige, allenfalls kleine Sticheleien einzelner Parteien, die mit Anträgen mal Jamaika vorführen wollten, mal die große Koalition. Das war’s.

Der Deutsche Bundestag ist derzeit ein Parlament der Selbstbeschäftigung, ohne jede Wirkung auf die Lebensrealität des Landes und seine politische Debatte. So darf es nicht mehr lange weitergehen.Unter einem Gesichtspunkt war diese lange Übergangsphase gut: Sie hat den anderen Fraktionen Zeit und Raum gegeben, ihr Verhältnis zur AfD ruhig und sachlich zu bestimmen. Wäre es gleich in hitzige Schlachten um Gesetzesvorhaben gegangen, hätte das vielleicht anders ausgesehen. Hinzu kommt, dass die AfD bisher nicht schlimm provoziert hat. Die einzige „Provokation“ lag darin, stets in voller Mann-Stärke im Plenum zu erscheinen, wohl um Vorurteile gegen halbleere Parlamentssitzungen zu bestärken. Freilich, wenn demnächst die Ausschüsse arbeiten, wird sich das auch legen.

Es ist gut, dass die anderen Parteien sehr früh entschieden haben, die AfD absolut korrekt zu behandeln. Sie bekommt Redezeiten, Gremiensitze und Ausschussvorsitze, wie der Partei nach ihrer Stärke im Plenum zustehen. Falls es eine große Koalition gibt, sogar den Vorsitz im mächtigen Haushaltsausschuss. Alles andere hätte sie auch in eine Märtyrerrolle gebracht. Ob die anderen Parteien auch jeden Namensvorschlag der AfD akzeptieren, steht dabei auf einem anderen Blatt.

Viele AfD-Politiker haben in ihrer Vergangenheit oder in dem, was sie heute von sich geben, gute Gründe geliefert, sie nicht zu wählen. Deshalb fielen die AfD-Kandidaten für den Geheimdienstausschuss und den Posten des Bundestagsvizepräsidenten durch. Allerdings sollte die Mehrheit es mit dieser Methode nicht überziehen.

In diesen ersten vier Monaten der Sachlichkeit und Ruhe hat es eigentlich nur einen echten Ausrutscher im Bundestag gegeben. Das war die Weigerung der Union, auch die Linke den wichtigen gemeinsamen Antrag zur Bekämpfung des Antisemitismus mit unterzeichnen zu lassen. Nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil es die Linke ist. Dass die AfD bei so etwas nicht dabei ist, ist klar. Wie sie wohl bei keinem Thema mit den anderen Parteien kompatibel ist. Das Verdikt der Union ist im konkreten Fall aber sogar schädlich: Wenn fünf von sechs Parteien diesen Vorstoß eingebracht hätten, wäre das ein stärkeres Signal gewesen, als wenn es nur vier sind. Die Ablehnung jeglicher Kooperation mit der Linkspartei gehört in die Mottenkiste. Erst recht, seit es die AfD gibt.


nachrichten.red@volksfreund.de

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